„Israel ist kein demokratischer Staat. Nicht für Alle“ sagt der Jude Wieland Hoban vom Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ und „Solidarität mit palästinensischem Leid ist auch kein Judenhass“. Kurz vor dem Fest der Liebe in hasserfüllten und kriegerischen Zeiten wagten sich die Initiatoren von Bunter Liste Lindau, der Linken im Landkreis Lindau und der Friedensregion Bodensee e.V. an ein aufwühlendes und hilflos machendes Thema. „Der Krieg zwischen Israel und Gaza und seine Hintergründe“ war der Vortrags- und Diskussionsabend überschrieben. Es gab jede Menge Hintergründe, Beklemmung und Ratlosigkeit in Anbetracht der unfassbaren Entmenschlichung in diesem Krieg, es gab wenig Hoffnung und am Ende das Fazit des Referenten, dass es eine Lösung dieses Konfliktes wohl nur von außen geben kann.
Wieland Hoban wurde 1978 in London geboren, ist Komponist und Übersetzer und lebt in Frankfurt. Sein Verein „Jüdische Stimme“ ist auch die Stimme der Menschen in Palästina und er betont, dass sich viele Juden auf der Welt nicht mit Israel identifizieren und deutlich sagen, dass dieser Staat nicht in ihrem Namen handelt. „Es wird oft als anstößig bezeichnet, wenn jemand im Zusammenhang mit den israelischen Kampfhandlungen von „Genozid“ spricht, ich sage: anstößig ist diese Realität!“ bemerkt Wieland Hoban traurig.
Dass dieser Krieg nicht am 7. Oktober begann, das bezweifelt niemand der rund 40 Besucherinnen und Besucher im Club Vaudeville. Wieland Hoban geht in seinem Vortrag weit zurück in die Geschichte, beginnt bei Theodor Herzl und dem ersten zionistischen Weltkongress in Basel, spricht über politischen und religiösen Zionismus, über Landnahme, Flucht, Vertreibung und Unterdrückung, über das Erstarken einer aggressiven Religiosität in Verbindung mit Nationalismus und über das unermessliche Leid der zusammengepferchten und unterdrückten palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen. 2006 gewinnt die islamistische Hamas die Parlamentswahlen und bildet zunächst mit der Fatah eine Einheitsregierung. 2007 übernimmt Hamas die alleinige Macht über Gaza und seitdem leidet die Bevölkerung unter einer totalen Militärblockade zu Land, zur See und aus der Luft und wird unter menschenunwürdigen Bedingungen im „größten Freilichtgefängnis der Welt“, gehalten.
Mucksmäuschenstill ist es im Saal, als Wieland Hoban vorrechnet, dass ein Kind, das 2007 in Gaza geboren wurde, im Alter von 16 Jahren bereits sechs Kriege erlebt hat. „Eigentlich ist es eher verwunderlich, dass nicht noch mehr zu den Waffen greifen“. Der Gaza-Streifen – in etwa so groß wie das Land Bremen, hat 2,3 Millionen Einwohner, die Hälfte davon Kinder, und eine Arbeitslosenquote von 50 Prozent. 97 Prozent des Wassers ist als Trinkwasser ungeeignet und das Wort „posttraumatisch“ gibt es in diesem Teil der Welt nicht, ganz einfach, „weil das Trauma nie aufhört und es deshalb auch kein „post“ gibt, erläutert Wieland Hoban. Gleichzeitig ist die israelische Gesellschaft tief gespalten, das Land instabil. Vor dem 7. Oktober gab es monatelange Proteste gegen die Regierung Benjamin Netanjahus und deren umstrittene Justizreform. Bei der anschließenden, kontrovers aber weitgehend fairen und sachlichen Diskussion wurde dem Referenten die Verharmlosung einer brutalen Terrororganisation vorgeworfen und ein Diskussionsteilnehmer stellte die Frage in den Raum, ob in Deutschland jetzt Moscheen oder Synagogen beschützt werden müssten… Die internationale Gemeinschaft habe als „Wächter des Friedensprozesses“ total versagt und die Zwei-Staaten-Lösung sei toter als tot, sind Aussagen weiterer Wortmeldungen von BesucherInnen. Die Waffenverkäufe aus Deutschland nach Israel haben sich in den vergangenen Wochen verzehnfacht und der zahnlose und zaghafte Umgang des Westens mit Israel trage ebenfalls nicht zur Deeskalation bei und die Gewalt geht brutal und gnadenlos weiter. „Demokratie gibt es nur für jüdische Israelis, nicht für die arabische Bevölkerung und Israel ist nicht ein Staat für all seine Bürger“ fasst Wieland Hoban am Ende noch einmal zusammen. Die israelische Bevölkerung wird solange keinen Frieden finden, solange die Rechte der PalästinenserInnen nicht anerkannt und respektiert werden.
manu